Kopflos

Seit dem Aufstehen verspürte ich ein andauerndes Stechen im Kopf. Um Mittag herum wurde der Schmerz nahezu unerträglich. Ich durchwühlte unsere Hausapotheke und stieß auf eine leere Packung Aspirin. Am Spiegel neben dem Apothekerschränkchen klebte ein Zettel. »Hallo Schatz, komme heute spät, Essen ist im Kühlschrank, Kuss Mutti. PS: Sehe gerade, dass kein Aspirin mehr da ist. Kannst du bitte neues besorgen? PPS: Du weißt ja wie schlimm das ist, wenn man welches braucht und nichts da ist.«

Ja, ich wusste wie schlimm das war. Aber ich fühlte mich außer Stande jetzt in die Apotheke zu gehen. Die Hitze draußen, der Straßenlärm, Frau Röpke aus dem ersten Stock – nein, unmöglich. Doch das verdammte Stechen wollte nicht nachlassen. War es nicht vielleicht das kleinere Übel in die Apotheke zu gehen? Unschlüssig stand ich in der Tür und wippte meinen schmerzenden Kopf hin und her. Dabei stieß ich aus Versehen links am Türrahmen an. Der stechende Schmerz ließ kurzzeitig zugunsten des Anstoßschmerzes nach. Da mir inzwischen alles lieber war als dieses Stechen, schlug ich meinen Kopf immer wieder an den Türrahmen. Einmal links, zweimal rechts – es fühlte sich gut an – wieder links, zweimal rechts, links. Immer härter schlug ich meinen Kopf gegen den Türrahmen, bis ich letztendlich Anlauf nahm und mit voller Wucht vor eine der gefliesten Badezimmerwände sprang.

Da fiel mein Kopf ab. Vorsichtig hob ich ihn auf und ertastete eines meiner Augen. Ich zog es aus der Augenhöhle und steckte es in meinen Bauchnabel.

Da fiel mein Kopf ab. Vorsichtig hob ich ihn auf und ertastete eines meiner Augen. Ich zog es aus der Augenhöhle und steckte es in meinen Bauchnabel. Nun konnte ich meinen Kopf näher betrachten und fand die Ursache meines Leidens. Ein Zettel war mit einer Reißzwecke an meinen Hinterkopf gepinnt worden. Die Reißnadel war tief in die Kopfhaut eingedrungen und hatte ein starkes Eitern verursacht. Auf dem Zettel stand ‘Vergiss bitte nicht Aspirin zu kaufen!’. Der Zettel war also von Mutti. Sie war schon immer sehr gründlich, das musste man ihr lassen. Ich hatte schon gar nicht mehr an das Aspirin gedacht, jetzt wo das Stechen aufgehört hatte. Doch bevor ich in die Apotheke ging, wollte ich noch schnell das Bad sauber machen. Ich hob meinen Kopf auf und weil er auf meinem Hals nicht mehr richtig hielt, legte ich ihn erst einmal in den Kühlschrank. Mutti würde schon wissen, wie ich ihn wieder fest bekommen könnte. Dann nahm ich mein Mittagessen aus dem Kühlschrank und stellte es auf den Herd.

Ich ließ die Suppe nicht zu heiß werden, so dass ich sie ohne weiteres in meine Speiseröhre tropfen lassen konnte.

Ich ließ die Suppe nicht zu heiß werden, so dass ich sie ohne weiteres in meine Speiseröhre tropfen lassen konnte. Nachdem ich satt war, wusch ich den Kochtopf gleich ab, denn Mutti konnte verklebte Töpfe nicht ausstehen. Dann schaute ich noch mal nach meinem Kopf. Ich betrachtete ihn eine Weile und mir fiel ein, dass Mutti es unästhetisch finden könnte, wenn er einfach so im Kühlschrank lag. Deshalb verstaute ich ihn in dem frisch abgewaschenen Kochtopf. Ich schnitt mein linkes Ohr ab und steckte es vorsichtig in die Hosentasche. So passte auch der Deckel darauf. Ich war mit mir zufrieden. Nun sah das Ganze doch schon viel besser aus.

Als Mutti kam, saß ich im Wohnzimmer vor dem Fernseher. ‘’Hast du an das Aspirin gedacht?’’ begrüßte sie mich. Mist! Das hatte ich doch glatt vergessen! Ich tat so als hätte ich nichts gehört. ‘’Keine Antwort ist auch eine Antwort‘’, rief sie mir etwas verärgert aus dem Flur zu. Sie hatte mich wieder mal durchschaut. ‘’Wenn man dich einmal um etwas bittet! Wo hast du nur deinen Kopf?“, sprach sie vorwurfsvoll und schüttelte den ihrigen. Sie ging in die Küche. ‘’Und gegessen hast du auch nichts, du bist sogar zu faul dir was warm zu machen!’’ Sie nahm den Topf aus dem Kühlschrank und stellte ihn auf den Herd.

 

Franziska Wilhelm
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